Wellentrup und der Hof Havergo.
Ein Beispiel zur Geschichte der Grundherrschaft im Raum Lage (Roland Linde)

Mit dem Begriff "Grundherrschaft" bezeichnen Historiker alle Formen bäuerlicher Abhängigkeit im Mittelalter (6.-15. Jahrhundert) und in der Frühen Neuzeit (16.-18. Jh.). Der Bauer war nicht Eigentümer des Hofes, den er bewirtschaftete, sondern er besaß nur ein zeitlich befristetes oder erbliches Nutzungsrecht. Für dieses Nutzungsrecht musste er dem Grundherrn Abgaben und Dienste leisten. Der Grundherrschaft nah verwandt war die Hörigkeit; sie stellte allerdings eine persönliche Abhängigkeit dar. In Lippe zeigte sich die Hörigkeit vor allem in der Pflicht der Erben des verstorbenen Hörigen, dem Leibherrn den so genannten Erbteil zu zahlen. Der Leibherr war meist identisch mit dem Grundherrn. Im Jahre 1808 wurde die Grund- und Leibherrschaft durch Fürstin Pauline zur Lippe aufgehoben. Die Bauern waren damit zwar freie Eigentümer der von ihnen bewirtschafteten Höfe, doch die althergebrachten Abgabe- und Dienstpflichten bestanden weiterhin und konnten erst im Laufe des 19. Jahrhunderts gegen hohe Geldzahlungen abgelöst werden.

Wenn man sich mit der Geschichte unserer Dörfer befasst, kommt man um eine Beschäftigung mit den grundherrschaftlichen Abhängigkeiten nicht herum, da die älteste schriftliche Überlieferung fast ausschließlich daraus resultierende Rechte betrifft. Zugleich ermöglicht die Analyse der grundherrschaftlichen Zusammenhänge Einblicke in jene weiter zurückliegenden Phasen, aus denen keine schriftlichen Nachrichten vorliegen. Das soll im folgenden Beitrag am Beispiel von Wellentrup bei Lage verdeutlicht werden. Zunächst werden die grundherrschaftlichen Bindungen der einzelnen Höfe anhand der urkundlichen Überlieferung untersucht. Dabei wird besonders der Versuch der Meier Havergo näher betrachtet werden, als freie Besitzer ihres Hofes anerkannt zu werden. Die dabei protokollierten Zeugenaussagen geben interessante Einblicke in das bäuerliche Leben des 15. und 16. Jahrhunderts.1

Die ältesten Höfe und ihre grundherrschaftlichen Bindungen

Seit der Kommunalreform von 1970 ist Wellentrup ein Ortsteil der Stadt Lage. Die noch bestehende kirchliche Bindung nach Oerlinghausen verweist dagegen auf ältere Strukturen, denn gemeinsam mit Kachtenhausen bildete Wellentrup seit dem frühen 17. Jahrhundert eine Bauerschaft (von mittelniederdeutsch burschap, Nachbarschaft) innerhalb der Vogtei bzw. seit 1746 des Amtes Oerlinghausen. Die Hausnummern "sprangen" innerhalb dieser Bauerschaft: So gehörten die Höfe Nr. 1 und 3 zu Kachtenhausen, Nr. 2 und 4 hingegen zu Wellentrup. Im Salbuch (Grundbuch) des Amtes Oerlinghausen von 1780 finden sich die kurz zuvor vergebenen Hausnummern, die dann bis zur Kommunalreform gültig blieben (siehe Tabelle).2 Die lippischen Höfe wurden damals nach einem landesweit einheitlichen Maßstab auf der Grundlage des geschätzten jährlichen Ertrags klassifiziert.3 Dabei stufte die Verwaltung fünf Wellentruper Grundbesitzer als Halbmeier ein, zwei als Groß-, zwei als Mittel- und einen als Kleinkötter. Es handelte sich dabei um jene Höfe und Stätten, die bereits im 16. Jahrhundert vorhanden waren. Inzwischen hatten sich auch noch vier Hoppenplöcker- und Straßenkötterstätten hinzugesellt, die über wenig mehr als Haus und Garten verfügten. Sie sollen im Folgenden nicht weiter berücksichtigt werden.

Wenden wir uns daher einem der frühesten Vorläufer der Salbücher zu, einem Verzeichnis der nicht(!) dem Grafen zur Lippe gehörenden Höfe in der Vogtei Oerlinghausen von 1528. Riekehof (Nr. 2) und Griemert (Nr. 6) gehörten zur Grundherrschaft des Klosters Marienmünster, dem auch die darauf sitzenden Bauernfamilien hörig waren: Rykehoff tho Welpentruppe hort egen den moncken tho Margenvelde beyde lude und goyt und gyffene alle jare III ½ gulden. (Riekehoff zu Wellentrup gehört eigen den Mönchen zu Marienfeld, beide Leute und Gut, und geben ihnen alle Jahre 3 ½ Gulden").4 Griemert war dagegen zu einer jährlichen Abgabe von 5 Molt (= 60 Scheffel) Korn verpflichtet: Grymert tho Welpentruppe hort egen den moncken tho Margenvelde beyde lude und goyt und gyffene alle jare V molt korens. Der Riekehofsche Hofraum liegt dort, wo in früheren Zeiten der am Eichenkrug in Richtung Oerlinghausen abzweigende alte Hellweg auf den am Münterberg entspringenden namenlosen Bach traf.5 Griemerts Hofraum grenzt unmittelbar westlich an. Diese Nachbarschaft, die gemeinsame grundherrschaftliche Bindung und die Gemengelage der Garten- und Ackerparzellen weisen eindeutig darauf hin, dass die beiden Höfe durch Teilung entstanden sind.

Einen eigenen grundherrschaftlichen Verband bildeten die Höfe Havergo bzw. Haverich (Nr. 4), Gruttmann (Nr. 8), Hollmann (Nr. 9) und die Mühle im Vogelsang (Nr. 12). 1528 waren sie im Besitz der Familie Gobbel aus Horn. Der Hof Havergo hatte sich westlich und der Hof Gruttmann östlich der Marienfelder Höfe angesiedelt; die beiden Einzelhöfe mit weitgehend geschlossenem Grundbesitz sind knapp 1100 Meter von einander entfernt. Hofraum und Ländereien der Mühle wurden von den Havergoschen Besitzungen abgetrennt. Hollmann siedelte sich dagegen in der unmittelbaren Nachbarschaft der beiden Marienfelder Höfe an. Auch er verfügte über einen größtenteils geschlossenen Grundbesitz.

Im Höfeverzeichnis von 1528 heißt es: Havergo tho Welpentruppe syn goyt hort Gobbelen tho Horen und gyff emme alle Jahre VI molt korens und syn frowe ys frey und he he hort egen mynem g[nedigen] h[errn] to der Lyppe.6 Bauer Havergo hatte dem Grundherrn also jährlich 6 Molt Korn abzuliefern. Die Familie war aber nicht den Gobbeln eigen, sondern der Mann war ein Höriger des Grafen zur Lippe und seine Frau frei. Ähnlich war es bei den anderen Höfen: Grutman war mit Weib und Kindern den Marienfelder Mönchen hörig, ebenso de Moller tho dem Vogelsange; dagegen waren Hoylman und seine Familie Hörige des Grafen. Die Höfe ge hörten aber jeweils den Gobbeln. Grutman war ihnen jährlich 4 Molt Pachtkorn schuldig, Hoylman 4 Molt und 2 Scheffel, der Moller gab jährlich 2 Gulden.

Der aus den Halbmeierhöfen Riekehof, Griemert und Hollmann gebildete Weiler wurde im Spätmittelalter durch zwei Großkötterhöfe ergänzt, deren Ländereien Gemengelage mit den beiden Marienfelder Höfen aufweisen. Erstmals genannt werden sie als Fricke Weldige und Voß to Welpentrup im Landschatzregister von 1467.7 Der Großkötter Wellige (Nr. 10) gehörte zur Grundherrschaft des Paderborner Domkapitel. Dabei handelte es sich um das Kollegium der adligen Domgeistlichen, die an der Verwaltung des Hochstifts Paderborn teilhatten und den Bischof wählten. Der auf dem domkapitularischen Hof sitzende Bauer war 1528 allerdings ein Höriger des Klosters Marienfeld, während seine Frau und Kinder Hörige des Grafen zur Lippe waren: Weyldyge tho Welpentruppe syn goyt hort egenn dem kapytell tho Paderborne und gyff dem alle jare II molt haveren und II ½ Marck Geldes und I par Honer [Hühner] und he hort egen denn Moncken tho Margenvelde und syn frowe und kynder horen egen mynem g[nedigen] h[errn] tho der Lyppe.8

Der Großkötter Voß (Nr. 11) fehlt im Höfeverzeichnis von 1528, weil er der Grundherrschaft der Grafen zur Lippe unterstand. Im Salbuch von 1616/17 wird er als ambtfrey bezeichnet.9 Möglicherweise stammte der Hofgründer vom Hof Voß in Greste, der zum Amt Barkhausen gehörte, einem grundherrschaftlichen Verband des Bischofs von Paderborn, dessen Angehörige mit der so genannten Amtsfreiheit ausgestattet waren.10 Mit Hencke tor Austen erscheint im Landschatzregister von 1467 erstmals der Mittelkötter Beine (Nr. 15).11 Diese Stätte entstand offensichtlich durch Abtrennung vom Hof Riekehof. Der Hofraum des Kleinkötters Kespohl, 1535 erstmals als Karspoell erwähnt, wurde dagegen vom Hof Haverich abgeteilt.12 Für einen landwirtschaftlichen Haupterwerb war diese Stätte zu gering ausgestattet, von Anfang an gingen die Stätteninhaber daher dem Schmiedehandwerk nach. Als dienstpflichtiger Eigenbehöriger der Grafen zur Lippe musste Kespohl dem Salbuch von 1616/17 zufolge zu Detmoltt auf Erfordern schm[i]eden.13

Die Erwähnung von Welpenethorp im Güterverzeichnis des Klosters Marienmünster

Erstmals erwähnt wird Wellentrup, soweit bislang bekannt, im ältesten Güterverzeichnis des Klosters Marienmünster. Diese im heutigen Kreis Höxter gelegene Benediktinerabtei wurde 1128 durch Bischof Bernhard I. von Paderborn und Graf Widekind von Schwalenberg gegründet.14 Der weitgestreute, älteste Grundbesitz des Klosters geht vor allem auf Schenkungen der beiden Stifter zurück. Um 1139 erstellten die Mönche eine erste Übersicht ihrer grundherrschaftlichen Rechte.15 Aus Welpenethorp erhielt das Kloster jährlich VI solidos, also 6 Schillinge; weitere 3 Schillinge gingen in die Kasse, aus der die Beleuchtung der Klosterkirche bezahlt wurde.16 Bei diesem Ortsnamen, der zwischen Aderdessen (Ohrsen) und Overnhusen (Obernhausen bei Detmold) aufgeführt wird, handelt es sich zweifellos um Wellentrup bei Lage, das bis ins 16. Jahrhundert stets Welpentorp u. ä. geschrieben wurde.

11 Stöwer, Landschatzregister 1467-1507, S. 100. _ Vgl. Salbuch von 1616/17: Ottho Drosell itzo Herman Behne M.G.H. eigen ... (Stöwer/Verdenhalven, Salbücher, S. 114, Nr. 998).

Zusammenfassung

Von den fünf ältesten, 1780 als Halbmeier eingestuften Höfen Wellentrups gehörten drei _ Havergo, Hollmann und Gruttmann _ zur Grundherrschaft des Klosters Abdinghof in Paderborn und zwei _ Riekehof und Griemert _ zur Grundherrschaft des Klosters Marienfeld. Der Abdinghofer Besitz geht zurück auf eine 1031 vollzogene Schenkung des Bischofs Meinwerk von Paderborn aus seinen ererbten Gütern. Der Marienfelder Grundbesitz wurde 1307 durch Kauf von den Herrn von Wöbbel erworben, die ihn anscheinend von Marienmünster übernommen hatte. Jedenfalls gehören zum ältesten Grundbesitz des 1128 gegründeten Klosters Marienmünster auch Güter in Welpenethorp. Ob dieser Besitz auf die Erstausstattung durch den Paderborner Bischof (und damit vielleicht ebenfalls auf Meinwerkisches Erbgut) zurückgeht oder durch den Grafen von Schwalenberg (denen bis zur Schenkung 1185 an das Kloster Marienfeld auch der Meierhof Stapelage gehörte), lässt sich nicht mehr klären.
Zu den fünf Halbmeierhöfen kamen im Laufe des Spätmittelalters vier weitere, 1780 als Groß- und Mittelkötter eingestufte Höfe hinzu: Wellige, Voß und Beine durch Abtrennung von den beiden Marienfelder Höfen, die Mühle im Vogelsang durch Abtrennung vom Hof Havergo. Der älteste frühneuzeitliche Kleinkötter ist Kespohl.